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Großes Rotes statt Kleines Schwarzes?

links: rotes Kleid von 1790, rechts schwarzes Kleid von Chanel 1958

Bild: Links Kleid von 1790 (Rijksstudio), rechts Spitzenkleid mit Samtschärpe von Chanel, 1958 (Rhode Island School of Design Museum of Art via Wikimedia commons)

Liebe Leserinnen und Leser,

Stilratgeber behaupten: Jede Frau sollte ein schwarzes Kleid besitzen. Das „Kleine Schwarze“ gilt seit seiner mutmaßlichen Erfindung durch Coco Chanel 1926 als Modeklassiker: schlicht, zeitlos, unauffällig elegant und in jeder Situation passend. Chanel sprach von „einer Art von Uniform für alle Frauen mit Geschmack“.

Aber das war 1926, und ich frage mich, ob das Konzept „Kleines schwarzes Kleid“ aus heutiger Sicht nicht einer Neubewertung bedarf. Brauchen Frauen heute noch eine Uniform, selbst wenn sie geschmackvoll ist? Sollten Frauen denn – pauschal gesprochen – unauffällig und zurückhaltend sein, wenn sie in der Öffentlichkeit auftreten? Bei Chanels schwarzem Kleid sollte einem außerdem bewusst sein, dass sich Schwarz als Kleiderfarbe im Alltag in den 1920er Jahren als Folge des Ersten Weltkriegs verbreitete, weil so viele Frauen Trauerkleidung trugen. Chanel griff diesen Trend auf ihre Weise auf, setzte ihn im neuen Kleiderstil der 1920er um und machte ihn zur Mode. Zuvor waren modische junge Frauen bunt, mal üppig gemustert, mal einfarbig Ton in Ton in starken Farben – Purpur, Smaragdgrün, Royalblau. Schwarz war fast ausschließlich für Trauerzeiten reserviert und für allem ein Signal für andere im gesellschaftlichen Umgang.

Très Parisien, 1925, Créations Berthe Hermance/ Art – Goût – Beauté, Mars 1932, Lucile Paray via Rijksstudio

Natürlich kann ein gut sitzendes, schwarzes Kleid schick sein. Unübertroffen elegant und zu recht berühmt ist ja Audrey Hepburn in „Frühstück bei Tiffany“ im schwarzen Etuikleid von Hubert de Givenchy, und ich möchte keiner die schwarze Kleidung ausreden – aber die pauschale Empfehlung von Schwarz in jeder Lebenslage und unterschiedslos für jede finde ich falsch.

Menschen in Schwarz nehmen optisch weniger Raum ein. Wer Schwarz trägt, geht in der Menge unter, vor allem im Winter. Die Außenministerin Annalena Baerbock ist ein wortwörtlich leuchtendes Gegenbeispiel: Bei ihrer Rede vor der UNO-Vollversammlung trug sie ein hellblaues Kleid, bei Ministertreffen leuchtet sie in Magenta aus der Masse der dunklen Anzüge heraus, und vor einigen Tagen boten ihre fliederfarbenen Stiefeletten Gesprächsstoff bei Twitter. Schwarz trug sie, wo es angemessen war: beim Besuch im türkisch-syrischen Erdbebengebiet.

Was hält mich und viele andere Frauen ab, es ihr gleichzutun, fragte ich mich, und diskutierte die Frage mit meinen Freundinnen Meike Rensch-Bergner und der Designerin Lindy Stokes. Wieviel sichtbarer wären Frauen – zum Beispiel auf Gruppenfotos im wirtschaftlichen oder politischen Kontext – wenn sie konsequent rote Kleider trügen, oder zumindest keine Kleidung mehr, die die dunklen Anzüge der Männer imitiert? Würde diese größere Sichtbarkeit von Frauen unsere Wahrnehmung ändern? Und würde uns die Welt anders gegenübertreten, wenn wir ein rotes Kleid trügen, und nicht irgendetwas unauffälliges Schwarzes oder Dunkelblaues?

Winston Churchill mit seinem Sohn Randolph und Coco Chanel bei der Wildschweinjagd, 1928 (Public Domain via Wikimedia commons)

Spannende Fragen, auf die wir noch keine sichere Antworten hatten, nur Vermutungen. In diesem Gespräch entstand die Idee zu der Aktion „Das rote Kleid“. Wir erinnerten uns an die Frühzeiten des Nähbloggens und der beflügelnden Vernetzung, an gemeinsames Ausprobieren und den Austausch über die neuen Erfahrungen und vor allem auch an das beglückende Gefühl, nicht alleine zu sein. Und wir organisierten kurzerhand ein Festival für euch, die Nähcommunity, sozusagen einen Sew-along mit Rahmenprogramm.

Deshalb laden wir euch ein: Probiert es gemeinsam mit uns aus. Näht euch ein rotes Kleid, auch gerne in Ziegelrot, Rostrot, Bordeaux, Pink oder einem anderen Rotton, der euch gefällt und der zu euch passt (oder auch eine Hose, einen Rock, ein Oberteil oder einen Mantel – wir sind nicht so streng). Tragt es, zeigt euch, vernetzt euch, tauscht euch aus. Mit dem Hashtag #rotesKleid finden wir uns.

Vom 8. März, dem Internationalen Frauentag, bis in den Mai, haben wir Veranstaltungen zusammengestellt, die man auf der Webseite rotes-kleid.de findet. Schnittmuster und Schnittmusterhacks, rote Stoffe, rote Unterwäsche, eine Lesung, ein Foto-Workshop und vieles mehr – schaut einfach, ob etwas Interessantes für euch dabei ist. Tragt euch in den Newsletterverteiler ein, dann bekommt ihr (in unregelmäßigen Abständen) Benachrichtigungen zu den Programmpunkten und vor allem den Zugang zum Zoom-Raum, in dem die Veranstaltungen stattfinden. Los geht es am 8. März mit einer Lesung aus Abschaffung der Problemzonen von Meike Rensch-Bergner. Ich hoffe, wir sehen uns.

Bis bald

Constanze Derham

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Drei Zimmer für uns allein oder: Wie „Abschaffung der Problemzonen“ entstand

Liebe Leserinnen und Leser,

sicher kennen Sie Virginia Woolfs Essay A Room of One’s Own, Ein Zimmer für sich allein, und den daraus oft zitierten Satz, um Fiktion zu schreiben, brauche ein Frau 500 Pfund im Jahr und ein eigenes Zimmer, kurz gesagt: finanzielle Unabhängigkeit und Raum zum ungestörten Arbeiten. In dem zwei Jahre später erschienenen Essay Professions for Women*) schrieb Woolf darüber hinaus, es sei nötig, den sogenannten „Engel im Haus“ in sich abzutöten, um schreiben zu können, also die sorgende, Care-Arbeit übernehmende Frau, die sich mehr um die Bedürfnisse aller anderen im Haushalt kümmere als um die eigenen, die Frau, die ihre Zeit, ihre Arbeitskraft und ihre emotionalen Ressourcen für andere aufwende.

An diese beiden Texte musste ich im Entstehungsprozess der „Abschaffung der Problemzonen“ von Meike Rensch-Bergner sehr oft denken. Erste Ideen für ein Buch, das die Diskurse über Frauenkörper und Kleidung aus feministischer Perspektive verbinden sollte, tauschten Meike und ich schon Anfang 2016 aus. Aber kontinuierlich, zielstrebig daran weiterzuarbeiten, war uns beiden kaum möglich, denn allerlei Verpflichtungen in der Familie, Sorge für Kind, alte Eltern, Ehepartner, kurz gesagt: Die Verpflichtungen des Engels im Haus kamen dazwischen. Im März 2019 war Meike zwei Tage in Berlin und wir diskutierten in dieser Zeit fast ununterbrochen über die mögliche Struktur des Buchs, tranken zusammen literweise Kaffee und hatten viele Ideen (unter anderem für eine Schnittmusterbeilage), die wir wieder verwarfen, veränderten und neu zusammenstrickten – aber in den zwei Tagen erreichten wir mehr als in den Wochen zuvor. Meike schickte mir erste ausformulierte Kapitel und schrieb quasi nebenbei „Passt Perfekt. Schnittmuster an die eigene Körperform anpassen“ für den EMF-Verlag, das seither zu dem Standardwerk über Schnittmusteränderungen für Hobbyschneiderinnen geworden ist, und gleich im Anschluss die Fortsetzung, „Passt Perfekt Plussize“.

Work in progress in Bassendorf

2020 kam die Pandemie und damit, wie wir alle wissen, viele, viele Zusatzaufgaben für die Engel im Haus. Aber die „Abschaffung der Problemzonen“ wuchs und wuchs, vielleicht sogar aus Trotz. Die Kapitel wanderten im Ideen-Pingpong hin- und her, Meike schrieb abends nach ihren anderen Verpflichtungen, am Wochenende und zwischen zwei Terminen, kurz: Eigentlich immer, wenn sich ein Zeitfenster auftat.

Die Autorin bei der Arbeit

Im Sommer 2021 hatte die „Abschaffung der Problemzonen“ den Status „bald fertig“ erreicht, aber Meike und mir wurde klar: Um dem Buch den letzten Schliff zu geben und letzte Lücken in der Argumentation zu füllen, konnten wir entweder noch monatelang Mails austauschen, oder wir mussten gemeinsam, an einem Ort, kontinuierlich und vor allem ungestört daran arbeiten. Wir mieteten uns für fünf Tage in der Ferienwohnung im Gutshaus Bassendorf ein, und was sich zunächst wie eine unglaubliche Extravaganz anfühlte, war genau das Richtige. Meike konnte in Ruhe schreiben, ohne ständig unterbrochen zu werden, ich war als Sparringspartnerin und fürs Kaffeekochen zur Stelle. Es war ein wahres Vergnügen, sich ungestört mit einem einzigen Projekt auseinanderzusetzen. Das Schreiben, Umarbeiten, Lektorieren und Korrigieren war Arbeit, fühlte sich aber wie Ferien an, denn all die tausend Kleinigkeiten und Verpflichtungen, die unsichtbare Arbeit des Engels im Haus, fiel einfach weg. Wir konnten uns ganz dem Denken und Formulieren, dem Argumentieren und Schreiben widmen, wie es schreibende Männer ganz selbstverständlich seit Jahrhunderten tun, weil sie sich nicht mit den prosaischen Niederungen des Alltags, der nächsten Mahlzeit, der Wäsche und dem Kind beschäftigen müssen.

Die Erfahrung, was mit finanzieller Unabhängigkeit, Raum zum ungestörten Arbeiten und dem Ignorieren der typischen familiären Aufgabenverteilung alles erreicht werden kann, war sehr erhellend und im Kontext der Thematik der „Abschaffung der Problemzonen“ auch ernüchternd, schließlich geht es darin um die Reduktion von Frauen auf Äußerlichkeiten als ein Mechanismus des Patriarchats, Frauen von Machtpositionen und Ressourcen fernzuhalten. Meike Rensch-Bergners neues Buch „Abschaffung der Problemzonen“ lässt sich also wunderbar vor dem Hintergund der Essays Virginia Woolfs lesen: Es ist entstanden, obwohl die Voraussetzungen – ein sicheres Grundeinkommen, Raum und Ruhe zum Schreiben – die meiste Zeit nicht gegeben waren.

Wenn Sie es noch nicht getan haben, laden Sie sich doch die Leseprobe herunter – hier – und werfen Sie einen Blick ins Buch!

Auf bald, Constanze Derham

*) Virginia Woolfs Essay Professions for Women ist gerade in einer neuen Übersetzung von Isabel Bogan unter dem Titel Freiheit ist erst der Anfang erschienen.