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Lucile oder: Vom Glücksgefühl, einen Schatz zu heben

Lucy Duff Gordon Lucile Mein Leben als Modeschoepferin Discretions and indiscretions Blick ins buch

Liebe Leserinnen und Leser,

oft werde ich gefragt, wie ich die verschollenen Texte ausfindig mache, die bei Texte + Textilien wieder neu veröffentlicht werden. Das neueste Buch im Verlag, die Autobiografie der Londoner Modedesignerin Lucy „Lucile“ Duff-Gordon von 1935, war bislang noch nie auf Deutsch erschienen. Die Kleider von Lucile kennt man vielleicht aus den Modesammlungen der Kunstgewerbemuseen – dass die Designerin außerdem eine fähige Autorin war, die ihr ereignisreiches Leben mitreißend erzählen konnte, konnte man nicht wissen. Ich brauchte auch einige Zeit, bis bei mir der Groschen fiel und ich Lucy Duff-Gordon, die Autorin, und Lucile, die Modeschöpferin, zusammenbrachte und verstand, dass es sich um dieselbe Person handelt.

Auf Lucy Duff-Gordons Buch „Discretions and Indiscretions“ stieß ich nämlich schon vor einigen Jahren beim Überfliegen eines Online-Bibliothekskatalogs, auf der Suche nach interessant klingenden alten Titeln. Das ist eine der Strategien, wie ich Bücher finde: Ich lasse mich treiben, blättere in (digitalisierten) Zettelkatalogen, folge Schlagworten und Querverweisen. Manchmal, selten, finde ich dabei etwas Interessantes und heute noch Lesenswertes.

In diesem Katalog wurde Lucy Duff-Gordons Buch sinngemäß als „Memoiren einer englischen Dame der Gesellschaft“ beschrieben, dazu kam noch der nichtssagende englische Titel. Ich hatte ein Bild von ermüdenden Berichten von Teestunden und Jagdaufenthalten, von Tratsch und Klatsch im Kopf und mein Interesse erlosch sofort. Die Memoirenliteratur des 19. Jahrhunderts ist ein recht spezielles Genre. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts fing es an, dass Menschen mit Geld und Bildung das Bedürfnis ausleben konnten, ihren Lebensweg zu erzählen und ein Buch daraus zu machen. Die meisten dieser Veröffentlichungen von Adeligen, Industriellen, Politikern und ja, auch von Damen der Gesellschaft, sind so langatmig, dass man es kaum erträgt, auch nur die Kindheit und Jugend der Autorinnen und Autoren abzuarbeiten. Der Fokus der Erzählenden liegt oft nicht auf den Dingen, die für uns heute interessant sind. Mit Glück findet man darin eine Handvoll lesenswerte Episoden, aber dazu muss man sich durch hunderte Seiten quälen, denn der typische Memoirenband aus dieser Zeit ist sehr umfangreich – es soll ja kein noch so uninteressantes Detail unter den Tisch fallen.

Lucy Duff-Gordon überquerte viele Male den Atlantik und war fasziniert von Amerika und seinen Möglichkeiten (Bild:
Bain News Service. Library of Congress, Public Domain.)
Im Jahr 1916. Sie war eine große Hundefreundin und besaß mehrere Chow Chows, von denen einer berühmt wurde (Bild: Library of Congress, Prints and Photographs Division, Public Domain.)

Lucie und Lucy, verwirrende Namensvetterinnen

Der Name Lucy Duff-Gordon kam mir in den folgenden Jahren noch ab und zu unter. Oder vielleicht war es – um die Verwirrung noch zu steigern – Lucie, Lady Duff-Gordon, von der ich las, eine englische Autorin, Übersetzerin und Reisende aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, die noch heute berühmte Briefe aus Ägypten verfasste. Sie ist eine Großtante des zweiten Ehemanns Lucy Duff-Gordons, und falls ich die beiden, Lucy und Lucie, zeitweilig verwechselt haben sollte, befinde ich mich in der guten Gesellschaft Franklin Delano Roosevelts, dem dieser Lapsus auch unterlief (wer mehr darüber wissen möchte: In „Lucile. Mein Leben als Modeschöpferin“, Kapitel XX gibt es die ganze Geschichte).

Irgendwann beim Blättern in einem Buch über historische Mode – ich glaube es war ein Band aus der ausgezeichneten Reihe „Fashion in Detail“ des Victoria & Albert-Museums – , fielen alle Puzzleteile an ihren Platz: Bei einem Kleid mit dem Label „Maison Lucile“ war als Designerin nicht nur, wie sonst meistens, der Künstlername „Lucile“ angegeben, sondern der vollständige Name seiner Schöpferin: Lucy Duff-Gordon. War das nicht die, die auch ein Buch veröffentlicht hatte? Und wie hieß das nochmal? Konnte ich es wiederfinden? Konnte es sein, dass diese „Dame der Gesellschaft“ nicht nur über Klatsch und Tratsch schrieb, sondern auch darüber wie es war, um 1900 Mode zu entwerfen und weltweit zu verkaufen? Als ich dann auch noch erfuhr, dass Lucy Duff-Gordon Passagierin der Titanic war und es also nicht unwahrscheinlich wäre, hätte sie auch über das Schiffsunglück und ihr Überleben geschrieben, hatte ich das Gefühl, einem Schatz auf der Spur zu sein.

Das englische Original der Memoiren wirklich zu beschaffen, war dann gar nicht so leicht. Alte Exemplare der ersten britischen oder amerikanischen Ausgabe sind selten und teuer, ab 350 Pfund ist man dabei. Bibliotheken in der Nähe besaßen das Buch nicht. Auf angebliche Nachdrucke der Originalausgabe, die als print on demand von obskuren „Verlagen“ über amazon und in Online-Antiquariaten angeboten werden, verlasse ich mich nicht. Solche Ausgaben sind oft zweifelhaft zusammenkopiert, automatisch gescannt und in Text umgewandelt und unter Umständen gar nicht lesbar. Fündig wurde ich schließlich in einer indischen Bibliothek, die in ihrem Onlineangebot einen Scan der Erstausgabe von Lucy Duff-Gordons Discretions und Indiscretions bereithält – allerdings falsch eingeordnet unter dem Namen „Gordon Duff“. Mittlerweile ist der Originaltext im Netz leichter zu finden, aber wir bewegen uns hier im Jahr 2022.

Die Titanic vor der Jungfernfahrt, April 1912 am Pier in Southhampton
Die Titanic im April 1912 kurz vor ihrer ersten Fahrt am Pier in Southhampton (Bild:
Robert Welch – Harland & Wolff Collection, National Museums Northern Ireland, Public Domain)

Lucys Leben: Spannend wie ein Roman

Als ich Lucy Duff-Gordons Buch dann endlich vor mir hatte und anfing zu lesen, und nicht mehr aufhören konnte, weil der Text mich sofort hineinzog und Lucy Duff-Gordon so locker und anschaulich erzählte, war ich begeistert. Das Buch war wirklich ein Schatz, und ich hatte ihn gefunden. Noch nirgends hatte ich so einen unmittelbaren Blick auf die Lebensweise der Oberschicht in Großbritannien, Frankreich und den USA um die Jahrhundertwende gelesen. So viel über Mode und Kunst, Bälle und Freizeitvergnügen, Heiraten und Todesfälle, über berühmte Frauen, den Ersten Weltkrieg, die Spanische Grippe, die Titanic. Und das alles mitreißend erzählt mit der für Lucy – Lucile – typischen Sichtweise: Zuerst das Positive. Lucy Duff-Gordon hatte ein besonderes Talent (neben ihrem Talent für Mode und Selbstvermarktung), jede Schwierigkeit als Herausforderung zu sehen und nicht lange zu grübeln, sondern zu handeln. Das mag manchmal Zweckoptimismus gewesen sein, aber dadurch ist „Lucile. Mein Leben als Modeschöpferin“ ein beschwingtes, zutiefst optimistisch stimmendes Buch.

Über den langen Weg, dieses Buch neu zu veröffentlichen, schreibe ich hier vielleicht beim nächsten Mal (oder ich verrate Ihnen und euch meine größten Buch-Recherche-Flops.)

Bis bald!

Constanze Derham

Lucile. Mein Leben als Modeschöpferin“ gibt es im Buchhandel und portofrei hier im Shop.

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Elizabeth Hawes in New York: Along her own Lines

Liebe Leserinnen und Leser,

in diesem Monat wird Elizabeth Hawes im Museum des Fashion Institute of Technology in New York mit einer Einzelausstellung geehrt. Die Schau wurde von Studierenden des F.I.T. kuratiert. Ihre Wahl fiel auf Elizabeth Hawes, da sie nicht nur Modedesignerin war, sondern die Modebranche von innen heraus schon in den 1930er Jahren kritisierte, auf die Problematik der Massenproduktion von Kleidung aufmerksam machte, aber auch ihr Potential erkannte. In ihrer Arbeit als Aktivistin, Gewerkschafterin, Journalistin kämpfte sie für die Überwindung von Klassenschranken, als Designerin war sie eine der ersten oder vielleicht sogar die erste, die in ihren Entwürfen Geschlechtergrenzen verwischte. Sie entwarf schon in den 30er Jahren Kleider und Röcke für Männer und androgyne Modelle, die von Frauen wie Männern getragen werden konnten.

Hawes, striped brocade evening dress detail

Elizabeth Hawes, elfenbeinweiß, violett und lavendel gestreiftes Abendkleid aus Brokat, ca. 1936. Geschenk von Mrs. Dudley Schoales. (Foto The Museum at FIT)

Hawes, blue and green wool ensemble

Elizabeth Hawes, blaugrünes Wollkostüm, ca. 1968.
Geschenk von Dee Klarich. (Foto The Museum at FIT)

Diese Würdigung von Elizabeth Hawes freut mich sehr, und vielleicht leitet diese Ausstellung ja eine Wiederentdeckung dieser großartigen Modeschöpferin ein. Dass sie ihrer Zeit weit voraus war, wurde mir sofort klar, als ich 2016 ihre Autobiografie „Fashion is Spinach“ entdeckte. Das war auch der Grund, warum das Buch (das glücklicherweise rechtefrei war) 2019 bei uns als „Zur Hölle mit der Mode“ auf Deutsch erschienen ist. Hawes‘ hellsichtige Anmerkungen zu Stoffqualität und Markenpiraterie, ihre Anekdoten über versnobte Kundinnen oder gerissene Textilproduzenten, ihre Beobachtungen an den Laufstegen von Paris und Moskau mussten hinaus in die Welt.

Das Museum des Fashion Institute of Technology zeigt nun bis zum 26. März eine Auswahl ihrer Kleider mit besonderem Fokus auf ihren Aktivismus, ihre Entwürfe für Männer, ihre Herangehensweise an den Körper und die Verarbeitung und einen Ausblick auf Hawes‘ Ideen für die Zukunft der textilen Massenproduktion.

Hawes, Back view of handknit man's jockey shorts

Elizabeth Hawes, handgestrickte Badehose, verschiedenfarbiges Baumwollgarn, 1964.

Hawes, Front view of handknit man's jockey shorts

Rückseite. Geschenk von Barnes Riznik. (Fotos The Museum at FIT)

Das 22. Kapitel von Hawes‘ Buch „Zur Hölle mit der Mode“ widmet sich der Männermode. Sie erzählt, wie sie beauftragt wurde, für eine Zeitschrift und ein Kaufhaus Männermode zu entwerfen, die dann jedoch nicht in Produktion ging, weil die Auftraggeber sie zu gewagt fanden. Einige Jahre später unternahm sie einen neuen Anlauf und veranstaltete eine Männermodenschau in ihrem Atelier. Für die Vorführung überredete sie Männer aus ihrem Bekanntenkreis, als Models aufzutreten. Sie sträubten sich zum Teil sehr, aber die Schau war ein großer Erfolg und anscheinend für alle Beteiligten ein großer Spaß.

Hawes, Multicolor silk man's kimono-style jacket

Elizabeth Hawes, mehrfarbige Männerjacke im Kimonostil, ca. 1962. Geschenk von Barnes Riznik. (Foto The Museum at FIT)

Hawes, Purple wool coat with red-orange and purple satin lining

Elizabeth Hawes, violetter Wollmantel mit rotorange und violettem Satinfutter, ca. 1950. Geschenk von Charlotte Adams. (Foto The Museum at FIT)

Hier ein kleiner Auszug aus „Zur Hölle mit der Mode“, Elizabeth Hawes‘ Beschreibung des Beginns der Modenschau:

Der Bühnenbildner trug blaues, knitterfreies Leinen, die Hose durch Messingringe mit gestreiften Hosenträgern verbunden, die über einer naturfarbenen und ebenfalls knitterfreien Bluse lagen. Die Bluse hatte vorne einen Reißverschluss mit einem gerade angesetzten Kragen, der mit dem Reißverschluss geschlossen oder offen gelassen werden konnte, je nachdem wie es die Hitze verlangte. »Etwas, in dem ich in der Stadt arbeiten kann, wenn es heiß ist und das ordentlich genug ist, um Klienten zu empfangen. Ich möchte mein Jackett nicht anziehen müssen«, war, was er wollte – und wollte dann doch, dass ich ihm ein passendes Jackett machte. Ich weigerte mich.

Der Theaterkritiker, ein Herr der dachte, er sei von Natur aus nicht ordentlich und gepflegt, kam zwischen den Vorhängen hervor. Er sah sehr gepflegt und nicht wenig verlegen aus und achtete darauf, dass seine Dame die Mitte der Bühne für sich hatte. Er trug eine grüne, gegürtete Leinentunika mit einem Reißverschluss im Vorderteil und einem Stehkragen, der offen oder geschlossen getragen werden konnte. Zu der Tunika gehörte eine schwere, graue Hose aus chinesischer Seide, die ein Gummiband am Bund hatte und damit sowohl einen engen Gürtel als auch Hosenträger umging. Das ganze Outfit war dazu gedacht, im heißen Sommer getragen zu werden. Es war ungefähr so leicht wie ein Pyjama.

Der Anzeigenvertreter war schlicht gekleidet für ein Dinner zuhause. Er trug auf der Rückseite geschnürte Seemannshosen aus leichtem Feincord und ein Sweatshirt aus gestreiftem Gardinenleinen.

Der Dinneranzug meines Anwalts war aus leuchtend dunkelblauer Wolle. Er war konventionell, soweit es die Hose betraf. Das Hemd war aus weicher, weißer Seide, wie ein Zahnarztkittel geschnitten, mit einem geraden Stehkragen am Hals, Knöpfen im Rücken, ohne Krawatte. Die Weste war diagonal gestreift, das Jackett kragenlos und so geschnitten, dass es offen getragen werden konnte. Der Anwalt ist stark gebaut. Er bekam eine phantastische Menge Applaus, was, wie er mir danach erklärte, nur daran lag, dass er so viele Leute im Publikum kannte, aber ich denke es lag in Wirklichkeit daran, dass er wirkte, als würde er sich richtig gut amüsieren.

Der junge Mann der Gesellschaft trug schwarze Hosen aus Faille mit einem Steg unter den Schuhen, eine zweireihige, bis zur Taille reichende Jacke aus lachsrosa Faille und ein weißes Seidenhemd. Formelle Kleidung für den Abend, und sie sah total elegant aus.

Weiterlesen bei Elizabeth Hawes, Kapitel 22

erhältlich im Buchhandel und hier bei uns im Shop (dort gibt es auch eine weitere Leseprobe).

Ausstellung „Elizabeth Hawes, Along her own lines“

bis zum 26.3.2023 im Museum at FIT, New York, Informationen dazu hier.

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Großes Rotes statt Kleines Schwarzes?

links: rotes Kleid von 1790, rechts schwarzes Kleid von Chanel 1958

Bild: Links Kleid von 1790 (Rijksstudio), rechts Spitzenkleid mit Samtschärpe von Chanel, 1958 (Rhode Island School of Design Museum of Art via Wikimedia commons)

Liebe Leserinnen und Leser,

Stilratgeber behaupten: Jede Frau sollte ein schwarzes Kleid besitzen. Das „Kleine Schwarze“ gilt seit seiner mutmaßlichen Erfindung durch Coco Chanel 1926 als Modeklassiker: schlicht, zeitlos, unauffällig elegant und in jeder Situation passend. Chanel sprach von „einer Art von Uniform für alle Frauen mit Geschmack“.

Aber das war 1926, und ich frage mich, ob das Konzept „Kleines schwarzes Kleid“ aus heutiger Sicht nicht einer Neubewertung bedarf. Brauchen Frauen heute noch eine Uniform, selbst wenn sie geschmackvoll ist? Sollten Frauen denn – pauschal gesprochen – unauffällig und zurückhaltend sein, wenn sie in der Öffentlichkeit auftreten? Bei Chanels schwarzem Kleid sollte einem außerdem bewusst sein, dass sich Schwarz als Kleiderfarbe im Alltag in den 1920er Jahren als Folge des Ersten Weltkriegs verbreitete, weil so viele Frauen Trauerkleidung trugen. Chanel griff diesen Trend auf ihre Weise auf, setzte ihn im neuen Kleiderstil der 1920er um und machte ihn zur Mode. Zuvor waren modische junge Frauen bunt, mal üppig gemustert, mal einfarbig Ton in Ton in starken Farben – Purpur, Smaragdgrün, Royalblau. Schwarz war fast ausschließlich für Trauerzeiten reserviert und für allem ein Signal für andere im gesellschaftlichen Umgang.

Très Parisien, 1925, Créations Berthe Hermance/ Art – Goût – Beauté, Mars 1932, Lucile Paray via Rijksstudio

Natürlich kann ein gut sitzendes, schwarzes Kleid schick sein. Unübertroffen elegant und zu recht berühmt ist ja Audrey Hepburn in „Frühstück bei Tiffany“ im schwarzen Etuikleid von Hubert de Givenchy, und ich möchte keiner die schwarze Kleidung ausreden – aber die pauschale Empfehlung von Schwarz in jeder Lebenslage und unterschiedslos für jede finde ich falsch.

Menschen in Schwarz nehmen optisch weniger Raum ein. Wer Schwarz trägt, geht in der Menge unter, vor allem im Winter. Die Außenministerin Annalena Baerbock ist ein wortwörtlich leuchtendes Gegenbeispiel: Bei ihrer Rede vor der UNO-Vollversammlung trug sie ein hellblaues Kleid, bei Ministertreffen leuchtet sie in Magenta aus der Masse der dunklen Anzüge heraus, und vor einigen Tagen boten ihre fliederfarbenen Stiefeletten Gesprächsstoff bei Twitter. Schwarz trug sie, wo es angemessen war: beim Besuch im türkisch-syrischen Erdbebengebiet.

Was hält mich und viele andere Frauen ab, es ihr gleichzutun, fragte ich mich, und diskutierte die Frage mit meinen Freundinnen Meike Rensch-Bergner und der Designerin Lindy Stokes. Wieviel sichtbarer wären Frauen – zum Beispiel auf Gruppenfotos im wirtschaftlichen oder politischen Kontext – wenn sie konsequent rote Kleider trügen, oder zumindest keine Kleidung mehr, die die dunklen Anzüge der Männer imitiert? Würde diese größere Sichtbarkeit von Frauen unsere Wahrnehmung ändern? Und würde uns die Welt anders gegenübertreten, wenn wir ein rotes Kleid trügen, und nicht irgendetwas unauffälliges Schwarzes oder Dunkelblaues?

Winston Churchill mit seinem Sohn Randolph und Coco Chanel bei der Wildschweinjagd, 1928 (Public Domain via Wikimedia commons)

Spannende Fragen, auf die wir noch keine sichere Antworten hatten, nur Vermutungen. In diesem Gespräch entstand die Idee zu der Aktion „Das rote Kleid“. Wir erinnerten uns an die Frühzeiten des Nähbloggens und der beflügelnden Vernetzung, an gemeinsames Ausprobieren und den Austausch über die neuen Erfahrungen und vor allem auch an das beglückende Gefühl, nicht alleine zu sein. Und wir organisierten kurzerhand ein Festival für euch, die Nähcommunity, sozusagen einen Sew-along mit Rahmenprogramm.

Deshalb laden wir euch ein: Probiert es gemeinsam mit uns aus. Näht euch ein rotes Kleid, auch gerne in Ziegelrot, Rostrot, Bordeaux, Pink oder einem anderen Rotton, der euch gefällt und der zu euch passt (oder auch eine Hose, einen Rock, ein Oberteil oder einen Mantel – wir sind nicht so streng). Tragt es, zeigt euch, vernetzt euch, tauscht euch aus. Mit dem Hashtag #rotesKleid finden wir uns.

Vom 8. März, dem Internationalen Frauentag, bis in den Mai, haben wir Veranstaltungen zusammengestellt, die man auf der Webseite rotes-kleid.de findet. Schnittmuster und Schnittmusterhacks, rote Stoffe, rote Unterwäsche, eine Lesung, ein Foto-Workshop und vieles mehr – schaut einfach, ob etwas Interessantes für euch dabei ist. Tragt euch in den Newsletterverteiler ein, dann bekommt ihr (in unregelmäßigen Abständen) Benachrichtigungen zu den Programmpunkten und vor allem den Zugang zum Zoom-Raum, in dem die Veranstaltungen stattfinden. Los geht es am 8. März mit einer Lesung aus Abschaffung der Problemzonen von Meike Rensch-Bergner. Ich hoffe, wir sehen uns.

Bis bald

Constanze Derham

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Ausstellungstipp: Claudia Skoda – dressed to thrill

Die Berliner Designerin Claudia Skoda hat zweifellos ein besonderes Talent, die richtigen Menschen zur richtigen Zeit kennenzulernen. Zu ihren Freundinnen und Freunden zählen Ulrike Ottinger, Tabea Blumenschein und Martin Kippenberger, sie kannte und kennt David Bowie und Ralf Hütter von Kraftwerk, sie wurde von Esther Friedman und Jim Rakete fotografiert. Ihre Modenschauen, in denen sie ihre gestrickten Entwürfe, Musik, Licht und Bewegung zusammenbrachte – Jahre bevor Modepräsentationen als Gesamtkunstwerke in der Branche üblich wurden – sind daher gut dokumentiert. Die aktuelle Ausstellung im Berliner Kulturforum (Claudia Skoda – dressed to thrill, noch bis 29. August) kann sich daher auf viele Fotos und Filmaufnahmen stützen und ist weniger eine Ausstellung über die Modedesignerin Claudia Skoda (die immer auch sehr tragbare Strickkleider, Pullover und Accessoires entwarf), sondern eine Ausstellung über die Multimedia-Künstlerin Claudia Skoda und die West-Berliner Kunstszene der 80er Jahre.

Aus der Kollektion „Veits Fights“, 1983

Interessant fand ich, wie Claudia Skoda Mitte der 70er Jahre scheinbar wie aus dem Nichts auftaucht. Schon das älteste Kleid, das in der Ausstellung gezeigt wird, ein Kleid aus Viskose-Baumwollgarn von 1976, zeugt von großer technischer Raffinesse und handwerklicher Perfektion: Das längsgestreifte Rockteil erhält seine ausgestellte Form durch verkürzte Reihen, das Oberteil ist „fully fashioned“ auf Figur gestrickt, das heißt die nötigen Weitenveränderungen werden durch das Zunehmen und Abnehmen von Maschen im Strickstück erreicht, der Stoff wird dreidimensional an den Körper geformt.

Aus der Kollektion „Big Birds“, 1979

In einem kurzen Fernsehbeitrag aus dieser Anfangszeit ist Claudia Skoda zu sehen und zu hören, wie sie mit mädchenhafter Stimme erzählt, sie habe zuerst Stricksachen nur für sich selbst gemacht, dann für Freundinnen, und daraus habe sich das Geschäft dann so langsam entwickelt. Zufall, Glück, irgendwie reingerutscht – man möchte es nicht glauben und noch weniger die Reporterfragen hören, die tatsächlich in den wenigen Minuten zweimal nachfragen, ob man denn davon leben könne.

In einem Fernsehbeitrag einige Jahre später, Claudia Skoda lebte und arbeitete inzwischen mit befreundeten Künstler*innen in Kreuzberg in der „fabrikneu“, spricht scheinbar eine andere Frau mit einer anderen Stimme: Energisch erklärt sie den Fernsehleuten die Arbeitsteilung in dieser Wohn- und Arbeitsgemeinschaft und weiß offensichtlich ganz genau welches Bild sie in der Öffentlichkeit abgeben möchte. In den frühen 1980ern beginnen auch die aufwendigen Modenschauen, für die die Fabrik bald zu klein wird und die man in der Ausstellung nacherleben kann.

Hose „Jazz“, Kollektion „Laufsteg“, 1978 (Detail)

Die textile Seite der Mode Claudia Skodas, das Handwerkliche, das Material, auch der Entwurfsprozess, spielen in dieser Ausstellung nur eine Nebenrolle, aber die etwa 15 Outfits werden an Puppen so gezeigt, dass Vorder- und Rückseite betrachtet werden können, und bei den flach präsentierten Stücken kommt man so nahe heran, dass man Details gut erkennen kann.

Manchmal gibt es zu einem Modell gleichzeitig auch eine Fotografie, die das Stück bei einer Modenschau oder an einer Kundin zeigt, und da erkennt man dann, wie wesentlich der Körper für Claudia Skodas Mode ist: Strickkleider erhalten ihre eigentliche Form erst durch den Körper, den sie bekleiden und leben von seinen Bewegungen – schlackert das Kleid an einer starren Size-Zero-Puppe, der es etwas zu groß ist, geht viel von seiner Wirkung verloren.

Die Ausstellung Claudia Skoda – dressed to thrill läuft noch bis zum 29. August im Berliner Kulturforum.