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Sprechen wir über Fasern

Auch das können Kunstfasern: Alyene Barker näht im Mai 1973 mit Hilfe dreier Kolleg*innen ein Sonnenschutzsegel für das Skylab der NASA. Der Sonnenschutz besteht aus drei Lagen: aluminiumbeschichtetes Mylar (eine Art Polyesterfolie), in der Mitte laminiertes Ripstop-Nylon, dünner Nylonstoff darunter. Foto: NASA, CC BY-NC 2.0

Liebe Leserinnen und Leser,

“sind Naturfasern besser als Kunstfasern?” ist eine Frage, die mir bei Materialworkshops oft gestellt wird und unter anderem über diese Frage sprach ich mit Meike Rensch-Bergner in der zweiten Folge unserer gemeinsamen Staffel des “Passt”-Podcast von Crafteln.de über Textilien, Kleidung und Mode.

“Es kommt ganz darauf an”, lautet dievorsichtige (und kluge) Antwort, denn letztlich hängt die Bewertung eines Materials davon ab, zu welchem Zweck es verwendet werden soll und welche Anforderungen es erfüllen muss. Vor der Erfindung der ersten Kunstfasern Ende des 19. Jahrhunderts stammte jede Faser, die zu Textilien verarbeitet wurde, aus einer natürlichen Quelle – sie wurde landwirtschaftlich angebaut und geerntet wie Baumwolle und Leinen, Tiere wurden dafür aufgezogen wie Seidenraupen und Wollschafe. Wie andere Agrarprodukte auch unterlagen die Fasern in Menge und Qualität natürlichen Schwankungen, waren von Wetter und Klima abhängig. Missernten vernichteten nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch Faserpflanzen. Der Baumwollanbau erforderte viel Feldarbeit, damit die Pflanzen gediehen; erst in den späten 1940er Jahren konnten die Fasern maschinell gepflückt werden. Schafe und Seidenraupen konnten krank werden, sie brauchten Futter und Pflege.

Die Möglichkeit, aus einfachen Grundstoffen wie Zellulose und Erdölbestandteilen Fasern in konstanter Qualität und nahezu unbegrenzter Menge herstellen zu können, das ganze Jahr hindurch, sieben Tage die Woche, revolutionierte die Textilindustrie. Sie ermöglichte die Demokratisierung der Mode – und sorgt gleichzeitig für das Überangebot an billiger Kleidung, das heute hinsichtlich Ressourcenverbrauch und Entsorgung ein Problem darstellt. Durch die Beimischung synthetischer Fasern werden oft die Eigenschaften von Naturfasern verbessert: Stoffe knittern weniger, sind elastisch, scheuerfester und pflegeleichter – andererseits setzen synthetische Stoffe oft Mikroplastik frei, Mischgewebe lassen sich so gut wie nicht recyceln und werden am Ende ihrer Lebendauer zu nicht wiederverwertbarem Müll. Der Baumwollanbau hat schon ganze Landstriche verwüstet – aber auch die Grundbestandteile synthetischer Fasern sind endlich, die Produktion verbraucht Wasser und Energie und setzt Stoffe frei die schädlich sind, wenn sie in die Umwelt gelangen.

Sicher ist, dass der Bekleidungsbedarf der Welt nur duch Naturfasern nicht mehr zu decken wäre – aktuell bestehen rund 70 Prozent aller weltweit produzierten Textilfasern aus synthetischen Polymeren, was ein Blick in den eigenen Kleiderschrank vermutlich bestätigt.

In der aktuellen Podcastfolge 81 sprechen Meike und ich unter anderem über natürliche und künstliche Fasern, Strategien für den Stoff- und Kleidungskauf und Merkmale guter Stoffqualität. Die Folge kann man direkt hier anhören, auf der Seite des Passt-Podcasts von Crafteln und man findet den Podcast überall, wo es Podcasts gibt.

Bis bald!

Constanze Derham

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Sprechen wir über Textilien

Liebe Leserinnen und Leser,

wozu braucht man Bücher über Textilien, Kleidung und Mode? Gibt es dazu überhaupt so viel zu sagen?

Das werde ich tatsächlich häufig gefragt und meine These ist: Ja, unbedingt. Textilien sind in unserer Kultur allgegenwärtig und so elementar wie Essen und Trinken. Jede*r nutzt täglich Textilien, jede*r konsumiert sie, Textilien sind mit das erste, das andere Menschen von uns wahrnehmen. Auch die unabhängigste Person folgt beim Sichkleiden bestimmten Regeln und Kriterien. Was wir tragen hat etwas mit uns zu tun, mit der Person, die wir sind, mit der Person, die wir sein wollen, mit unserer Umgebung, mit unseren Lebensumständen, mit unseren sozialen Beziehungen. Textilien waren mit dem Menschen auf dem Mond, auf dem Meeresgrund und auf dem Mount Everest.

Textilien haben den Lauf der Geschichte mitgeprägt, Handelsbeziehungen etabliert, technologischen Fortschritt angestoßen, unsere Umwelt verändert. Der großen Bedeutung von Kleidung und Textilien für unsere Gesellschaft steht aber ein zunehmend geringeres Wissen über Materialien, Herstellungsweisen, Textilqualitäten, Textilpflege gegenüber.

Dabei wäre dieses Wissen gerade jetzt so nötig, um weniger Textilien zu verbrauchen, Kleidung besser zu pflegen und länger zu nutzen. Nach Schätzungen ist die Herstellung von Kleidung und Schuhen derzeit für 10 Prozent der CO2-Emissionen weltweit verantwortlich – von Wasserverschmutzung, der Ausbeutung der Hersteller*innen und dem Müllproblem ganz abgesehen.

Wollen wir das Klimaproblem und das Gerechtigkeitsproblem lösen, müssen wir unseren Textilkonsum zurückschrauben, weniger und besser Textilien konsumieren und unser Verhältnis zur Kleidung ändern – so, wie wir uns heute Gedanken machen, wo und unter welchen Umständen Lebensmittel produziert werden.

Dies ist nur einer der Gründe, warum ich mich für die Verbreitung von Textilwisssen engagiere. Über die sozialen Aspekte von Kleidung haben wir damit noch nicht gesprochen: Über Mode, über Kleidung als Ausdruck der Persönlichkeit, über Kleidung als soziale Konvention, die mit dem Bild zusammenhängt, das unsere Gesellschaft von Körpern und Geschlechtern hat.

Über das vielschichtige Thema Kleidung, Mode und Textilien unterhalte ich mich in den nächsten Wochen als Gast im “Passt-Podcast” von Meike Rensch-Bergner – Crafteln. Den Podcast findet man bei den üblichen Podcastanbietern, die erste Folge der Staffel hier bei Crafteln: Kleidung im Gespräch – 1. Folge oder auch direkt hier:

Am kommenden Donnerstag, 24. Juni gibt es um 20.30 Uhr zusätzlich die Gelegenheit, sich mit Meike und mir direkt via Zoom über das Thema Textilien auszutauschen. Den Link zum Gesprächsraum gibt es hier bei Crafteln, Fragen und Themenwünsche können gerne vorab an Meike oder an mich (cd @ texte-und-textilien.de) geschickt werden.

Vielleicht hören und sehen wir uns dann? Ich würde mich freuen!

Herzlich, Constanze Derham